von Reiner Borchert
Die erste vom neuen Ortsverband durchgeführte Aktion fand an einem Samstag-Nachmittag und -Abend Mitte Oktober 2022 statt. Die Radtour führte zu vier Stationen im Bezirk Südost, die für den Natur- und Artenschutz besonders relevant sind. Etwas zu spät im Jahr, denn die Vegeation stellt sich gerade auf den Winter um, so dass nur wenige Pflanzen in Blüte zu sehen waren, viele dagegen gar nicht mehr. Wir wollten aber nicht bis nächstes Jahr warten, denn das Thema „Natur- und Artenschutz“ droht in der aktuellen Situation zwischen Waffenlieferungen, Inflation und Gasdeckel in Vergessenheit zu geraten. Dabei ist das Artensterben neben der Klimakrise das Megathema dieses Jahrhunderts und wird uns in Zukunft noch viel mehr beschäftigen.
Unsere Reise führte uns vom größten und ältesten zum jüngsten, erst in diesem Jahr entstandenen Biotop. Das erste war gefühlt schon immer da, die übrigen sind erst durch menschlichen Eingriff entstanden, zwei unbeabsichtigt, eines planvoll. Doch der Reihe nach:
1. Station: Der Wolbecker Tiergarten
Seit mindestens 800 Jahren ist die Existenz des Waldgebietes am Ostrand von Wolbeck überliefert. Das ist deshalb bemerkenswert, weil im Lauf des Mittelalters Deutschland ziemlich stark entwaldet wurde. Das Holz wurde zum Heizen und Bauen benötigt, die gerodeten Flächen für Siedlungen und Landwirtschaft. Dem Wolbecker Tiergarten blieb dieses Schicksal erspart, weil er seit jeher dem ortsansässigen Adel als Jagdgebiet diente. Das in hoher Anzahl vorhandene Wild wurde durch Zäune im Gebiet gehalten, so dass der Jagderfolg garantiert war. Aus dieser Zeit stammt auch die Bezeichnung „Tiergarten“ – damit ist kein Zoo gemeint, sondern eine Art Wildgehege zu Jagdzwecken.
Vor etwa 200 Jahren hatte es mit der Jagd ein Ende; der preußische Staat entfernte den Wildbesatz und widmete das Gebiet fortan der Forstwirtschaft.
Karte des Tiergartens (Open Street Map)
Der Wald ist trotz seines hohen Alters kein „Urwald“ – dafür wurde er in den vergangenen Jahrhunderten zu intensiv genutzt und verändert. Dennoch enthält er eine ganze Reihe beachtlicher Strukturen und Lebensformen: uralte Bäume, eine Feuersalamander-Population, viele Fledermäuse, Eulen, Greifvögel etc. Daher wurde bereits in den 1950er Jahren ein kleiner Teil unter Naturschutz gestellt und als „Naturwaldzelle“ beobachtet. Inzwischen ist das gesamte Gebiet als Flora-Fauna-Habitat-Fläche (FFH) unter Naturschutz, mit dem Ziel, der natürlichen Entwicklung des Waldes Raum zu geben, so dass am Ende doch wieder so etwas wie ein Urwald entsteht.
Weitere Informationen:
- Wikipedia: Wolbecker Tiergarten
- Natura 2000: Wolbecker Tiergarten
- Wolbeck & Münster: Tiergarten Wolbeck
Anschließend führte uns die Tour durch die angrenzende Tiergartenheide, die keine Heide, sondern ebenfalls ein Waldgebiet unter Landschaftsschutz ist, über die Werse zur nächsten Station:
2. Station: Der Bonnenkamp
Das Naturschutzgebiet Bonnenkamp liegt unweit der Werse und der Waldsiedlung in einem Wäldchen. Es verdankt seine Existenz einem gescheitertem Bauvorhaben, vermutlich in den 1960er Jahren – die genaueren Hintergründe sind mir nicht bekannt. Jedenfalls wurde die über 4 ha große Fläche damals abgeschoben – und dann liegen gelassen. Sie zeigt sehr anschaulich, wie unsere Landschaft in früheren Jahrhunderten ausgesehen haben mag, als die Wälder weitgehend abgeholzt waren (s.o.). Auf den nährstoffarmen Sandböden hatten sich große Heideflächen entwickelt. Sie wurden von Schafherden beweidet und blieben so erhalten. Wenn die Beweidung aufhört, setzt die natürliche Sukzession ein, und die Heide verbuscht, sie wird langfristig wieder zu einem Wald (s. „Tiergartenheide“).
Diese Entwicklung hat im Bonnenkamp dazu geführt, dass nach dem abgebrochenen Bauvorhaben eine Heidefläche entstanden ist, aus den noch im Boden befindlichen Samen. Die besonderen Bodenverhältnisse führten dazu, dass es sich dabei eine sog. Feuchte Heide handelt, die außer der Besenheide Calluna auch von der Glockenheide Erica tetralix gebildet wird. Dazu kommen eine ganze Reihe seltener und geschützter Pflanzenarten wie Sonnentau, Bärlapp, Schnabelried und Englischer Ginster. Viele dieser Arten sind Pionierpflanzen, die nur dort vorkommen, wo es Neuland zu besiedeln gibt. In späteren Stadien der Sukzession verschwinden sie wieder. Die langfristige Erhaltung einer Heide erfordert Maßnahmen wie regelmäßige Schafbeweidung, sporadisches Mulchen und/oder kontrolliertes Abbrennen.
Auch im Bonnenkamp ist die natürliche Sukzession am Werk, deshalb droht die Heide zu verbuschen. An vielen Stellen sind junge Birken zu sehen, und vom Rand dringen Brombeeren ein. Diese Entwicklung gefährdet das Vorkommen der genannten seltenen Arten, da mit der Heide deren Lebensraum verschwinden würde.
Um dem entgegenzuwirken, unternimmt das zuständige Grünflächenamt immer wieder Maßnahmen, mit denen die Feuchte Heide erhalten bleiben soll. So wurde vor zwei Jahren eine große Teilfläche „gemulcht“, das heißt, von der vorhandenen Vegetation befreit. Hier beginnt nun die Neuansiedelung der Heidevegetation, während nebenan ausgewachsene Calluna-Bestände zu überaltern drohen.
Nach Besichtigung der Heide ging es weiter zu einem weiteren gescheiterten Bauprojekt:
3. Station: Bahndamm der Umgehungsbahn
Die Umgehungsbahn dient dazu, Güterzüge, die nicht für Münster bestimmt sind, um die Stadt und den Hauptbahnhof herumzuleiten, von Mecklenbeck bis Sudmühle. Vor etwa 100 Jahren gab es jedoch größere Pläne: ein riesiger Güterbahnhof sollte hier entstehen, mit Gleisanschluss zur Loddenheide. Auch dieses Bauvorhaben wurde wieder aufgegeben, nachdem der Bahndamm angelegt war.
Deshalb ist der Bahndamm der Umgehungsbahn im Bereich Gremmendorf viel breiter, als es die aktuellen Gleise erforderlich machen. Da das Material für den Bahndamm aus dem Hiltruper See in der Hohen Ward stammt, besteht der Boden aus nährstoffarmem Sand.
Diese Konstellation macht den Bahndamm für den Artenschutz interessant. Der Naturschutzbund (NABU) konnte einige dieser Flächen kaufen und betreibt dort nun Maßnahmen, um den Sandmagerrasen zu erhalten. Dr. Thomas Hövelmann von der Naturschutzstation Münsterland des NABU erläuterte die Hintergründe und erklärte, warum derartige Lebensräume so selten und bedroht geworden sind: die allgegenwärtige Eutrophierung, also die Anreicherung der Umwelt mit Nährstoffen (hauptsächlich Nitrate und Phosphate) aus der Landwirtschaft, sorgt dafür, dass praktisch überall Pflanzen gefördert werden, die hohe Nährstoffgehalte im Boden, dem Wasser und der Luft, gut vertragen und in verstärktes Wachstum umsetzen. Arten der nährstoffarmen Standorte bleiben dabei auf der Strecke. Daher sind Biotope wie der Sandtrockenrasen auf dem Bahndamm mit Arten wie dem blauen, aktuell noch blühenden Berg-Sandglöckchen, Nachtkerzen und bodenlebenden Flechten so wertvoll: hier finden sie ein Refugium.
Aber genau wie in der Heide droht auch hier die Verbuschung, auch hier müssen Maßnahmen zur langfristigen Sicherung des Lebensraums ergriffen werden. Versuche mit einer Schafherde wurden allerdings bald wieder aufgegeben, weil die Tiere in Kontakt mit Güterzügen zu treten drohten. Daher bleibt nur die Entfernung unerwünschter Vegetation und gelegentliche Mahd.
Nach ausführlichen Erläuterungen von Thomas Hövelmann ging es weiter zur letzten Station:
4. Station: Der renaturierte Piepenbach
Der Piepenbach kommt von Osten aus Everswinkel und mündet in der Nähe des Achatiushauses in Wolbeck in die Angel. Seine letzten etwa 600 Meter verliefen bis vor Kurzem schnurgerade mit einem 90 Grad-Winkel. Im Sommer 2022 hat das Tiefbauamt dem Piepenbach in diesem Abschnitt ein neues Bett verpasst. Noch sieht es sehr nach Baustelle aus, noch hat sich keine neue Vegetation angesiedelt, doch in zwei bis drei Jahren wird sich das Gewässer in neuer Pracht zeigen, wie beispielhaft an der Münsterschen Aa Höhe Kanalstraße zu sehen ist.
Warum wurden Gewässer in der Vergangenheit begradigt?
Das Ziel der Wasserbauingenieure war in früheren Zeiten, also vor 50-60 Jahren, das Wasser möglichst schnell aus dem Einzugsgebiet des Gewässers herauszuleiten, um Überflutungen und hohe Grundwasserstände zu vermeiden. Die Vorteile bestehen außerdem in einem geringeren Platzbedarf für das Gewässer: es kann sich nicht mehr aus seinem Bett befreien, so dass die Nutzung (Landwirtschaft) bis an die Böschungskante heranreichen kann.
Hat sich diese Sichtweise auf die Gewässer bewährt?
Kurzfristig haben die Begradigungen durchaus den gewünschten Erfolg gebracht: die regelmäßigen Überflutungen blieben aus, und die landwirtschaftliche Nutzfläche konnte erweitert werden. Inzwischen zeigt sich aber, dass die als positiv bewerteten Ziele auch gravierende Nachteile haben:
- Der schnelle Abfluss führt bei Starkregenereignissen zu umso höheren Flutwellen in den größeren Gewässern – und dort zu größeren Schäden, wie letztes Jahr im Ahrtal zu sehen war.
- Die Selbstreinigungskraft des Gewässers bleibt wegen des schnellen Abflusses und fehlender Kleinstrukturen auf der Strecke.
- Der Grundwasserstand ist teilweise sehr stark abgesunken, was gerade in den letzten Jahren zu massiver Trockenheit in der Landwirtschaft führte.
- Flora und Fauna des Gewässers sind stark verarmt.
Was bezweckt die Renaturierung?
- Dem Gewässer wird wieder mehr Raum zugestanden, innerhalb dessen es sich ausbreiten kann.
- Der Abfluss wird dadurch verlangsamt, das Wasser verbleibt für längere Zeit im Gewässerabschnitt. Somit werden Abflussspitzen abgemildert und in die Länge gezogen.
- Das neue Gewässerbett ist zwar zunächst künstlich angelegt. Der Bach kann es aber im Lauf der Zeit verändern. Dadurch entstehen vielfältige Kleinbiotope, die vielen Tiergruppen Lebensraum bieten. Die Biodiversität steigt.
- Zu alledem kommt auch ein ästhetischer Aspekt: naturnahe Gewässer sind ein wohltuender Anblick und geben uns einen Eindruck davon, wie unsere Natur aussehen könnte, wenn sie intakt wäre…
Weitere Informationen:
Zum Ausklang und zur „Nachbesprechung“ gab es für die Teilnehmer*innen Reibeplätzchen, Apfelmus und Getränke, die der Vorstand des Ortsverbandes bereit stellte.
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